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Corona und Pressefreiheit: Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft

© Tedward Quinn / Unsplash

Von Gemma Pörzgen

Die Coronakrise wird in diesen Tagen weltweit zum Stresstest für alle Lebensbereiche. Auch für den Journalismus birgt sie viele Herausforderungen, die über dessen Rolle für die Zukunft entscheiden werden. Schon jetzt wird sichtbar, wie stark Politik und Bevölkerung nicht nur auf die wissenschaftliche Beratung durch Virologen, Epidemiologen und andere Fachleute angewiesen ist, sondern auch auf eine professionelle Vermittlung von glaubwürdigen Informationen. Kein Wunder, dass in den meisten deutschen Bundesländern Journalisten in die Liste der Berufe aufgenommen wurden, die heute als systemerhaltend gelten.

Presse- und Informationsfreiheit sind wichtiger denn je, um zu informieren, recherchieren, in Zusammenhänge einzuordnen und kritische Fragen zu stellen. Gute Kommunikation ist gerade in demokratischen Gesellschaften mit entscheidend dafür, ob es der Politik gelingt, die Menschen von notwendigen Einschränkungen ihres Alltags und gemeinsamen Regeln zu überzeugen.

Gerade jetzt werden die Unterschiede zwischen Ländern mit freien Medien und denen, die auf Zensur und Nachrichtenkontrolle setzen, noch sichtbarer als zuvor. So haben China und Iran bei Ausbruch der Covid-19-Pandemie versucht, das Ausmaß der Epidemie zu vertuschen und unabhängige Berichterstattung darüber zu unterbinden. Mehrere Bürgerjournalisten sind verschwunden, nachdem sie beispielsweise über die Zustände in den Kliniken während der Quarantäne am Ausbruchsort Wuhan ganz anders berichteten als die Staatsmedien. Einige politische Kommentatoren, die Verordnungen von Staatschef Xi Jinping kritisierten, wurden festgenommen oder unter Hausarrest gestellt.

In Iran haben Geheimdienst und Revolutionswächter in fast allen Landesteilen Journalisten und Journalistinnen zu Verhören eingeladen, die über den Alltag mit der Pandemie berichteten. Mehrere von ihnen wurden beschuldigt, Gerüchte zu verbreiten. In der Türkei wurden in nur einer Woche sieben Kolleginnen und Kollegen festgenommen, weil die Behörden ihnen vorwarfen, Panik zu verbreiten. Auch in Russland können die Bürgerinnen und Bürger sich nicht darauf verlassen, dass sie wirklich erfahren, wie viele Menschen an Covid-19 in ihrem Land erkranken und welche Ausmaße die Pandemie bereits angenommen hat. Zahlreiche Staaten stellen ihre Zensurmaßnahmen über den Gesundheitsschutz ihrer Bevölkerung.

Vielerorts wächst deshalb der Wunsch, der staatlichen Manipulation von Informationen auszuweichen. Viele Menschen suchen gerade angesichts der gesundheitlichen Bedrohung gezielt nach Fakten und Informationen. Die Deutsche Welle gab bekannt, dass seit Ausbruch der Corona-Pandemie gerade in den Ländern, in denen es nur begrenzte Informationen zu Corona gibt, die Zugriffszahlen auf ihre Online-Angebote in den jeweiligen Sprachen stark gestiegen sind, beispielsweise in Iran oder in der Türkei. Pressefreiheit war schon immer ein wichtiger Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft. Das gilt jetzt umso mehr für den Umgang mit der Covid-19-Pandemie. Als Reporter ohne Grenzen haben wir mit Beginn der Krise damit begonnen, gezielt zu dokumentieren, in welchen Ländern die Regierungen versuchen, die Informationsfreiheit noch stärker einzuschränken. Leider gibt es weltweit eine Fülle solcher Fälle, die jetzt unsere Aufmerksamkeit brauchen.

Das geschieht auch mitten in der Europäischen Union, wie sich vor allem in Ungarn zeigt. Dort verabschiedete das Parlament Ende März ein umstrittenes Gesetz, das für Ministerpräsident Viktor Orban fast unbegrenzte Sondervollmachten in der Coronakrise einräumt. So können nun angebliche Falschmeldungen oder „verzerrte Fakten“ in den Medien mit Strafen von bis zu fünf Jahren Haft bedacht werden. Reporter ohne Grenzen sieht in diesem Gesetz den Versuch, die Coronakrise dafür zu missbrauchen, um die letzten unabhängigen Journalisten und Journalistinnen im Land mundtot zu machen.

Aber auch in Deutschland drohen Gefahren für die Pressefreiheit. Bei vielen Medienhäusern verschärfen sich die wirtschaftlichen Probleme, vor allem bei den Printmedien, deren Werbeerlöse über Anzeigen um bis zu 80 Prozent einbrechen. Wir erleben eine Lage, in der das Angebot freier Medien auch in demokratischen Gesellschaften eigentlich existentiell ist, aber viele wichtige Informationsangebote um ihr finanzielles Überleben kämpfen.

Ermutigend bleibt dennoch, dass viele engagierte Kolleginnen und Kollegen trotz der viel schwierigeren Arbeitsbedingungen daran festhalten, täglich ihren Job zu tun, sauber zu recherchieren und für verlässliche Informationen zu sorgen. Sie sind es vor allem, die hoffentlich dafür sorgen werden, dass glaubwürdiger Journalismus aus dieser Coronakrise gestärkt hervorgeht.

Gemma Pörzgen ist freie Journalistin mit Osteuropa-Schwerpunkt in Berlin und Vorstandsmitglied von Reporter ohne Grenzen.