Publikationen
Rezension

Ben Goldacre: Die Pharma-Lüge - Wie Arzneimittelkonzerne Ärzte irreführen und Patienten schädigen

Köln: Kiepenheuer & Witsch 2013, ISBN 978-3-462-04577-2, 448 Seiten, 19,99 Euro.

Durch Bücher von Sachkennern wie Marcia Angell oder Richard Smith sind Profitgier und kriminelles Marketing als Handlungsprinzipien einer innovationsunfähigen Pharmaindustrie so breit bekannt geworden, dass sie selbst in Kriminalromanen und Fernsehkrimis häufig Thema sind. Das Buch des Arztes Ben Goldacre ist von anderer Art, denn es bietet eine genaue Analyse des Wissenschaftsbetrugs in Pharmastudien von Herstellern, der unter Duldung von Fachkreisen, Aufsichtsbehörden und des Gesetzgebers ungehindert ablaufen darf. Er wird ermöglicht durch eine Geheimhaltungskultur von Herstellern und Behörden, die für Patienten lebensbedrohlich sein kann. Profitgier erscheint dabei als entscheidende Verhaltensnorm bei Pharmamanagern. Sie findet in der Geldgier käuflicher Medizinexperten ihren Partner, wenn diese als so genannte Meinungsbildner falsche oder irreführende Aussagen des Pharmamarketings vor Behörden, als Ghostwriter oder auf firmengesponserten Ärztefortbildungen verbreiten. Goldacre zeigt an Beispielen, dass für das Pharmamanagement Profitsteigerung das höchste Ziel ist und dass deshalb Nutzen und Sicherheit oder ethische Normen nachrangige Bedeutung haben. Deshalb versagen Verhaltenskodizes, Selbstverpflichtungen, Vermarktungsregeln oder andere ethische Normen als Kontrolle. Gesetzliche Normen werden durch Missachtung oder Bestechung unterlaufen oder durch politische Einflussnahme unterbunden. Jedes abgehandelte Thema endet mit dem Absatz „Was tun“. Gefordert werden die Offenlegung aller Daten und Studienergebnisse bei Arzneimitteln, aller finanzieller Zuwendungen an Ärzte sowie aller Interessenkonflikte von Medizinexperten, die Zahlung von Entschädigungen an Patienten bei Arzneimittelschäden und die Bestrafung von Herstellern bei Werbung für nicht zugelassenen (Off-label) Gebrauch. In den USA mussten Lilly bei ZYPREXA oder Merck bei VIOXX Patienten mit mehreren Milliarden USDollar entschädigen, in Deutschland keinen einzigen Patienten. In den USA mussten Pharmafirmen in den letzten sechs Jahren für illegale Werbung Bußgelder in Höhe von mehr als 20 Milliarden US-Dollar zahlen, in Deutschland keinen einzigen Euro. Deshalb brauchen wir solche hervorragenden Bücher.

Peter Schönhöfer