Publikationen
Rezension

Britta Bannenberg, Jörg-Martin Jehle (Hg.): Wirtschaftskriminalität

Forum Verlag Godesberg, Möchengladbach 2010, 292 Seiten, 24 Euro

Die 11. wissenschaftliche Tagung der Kriminologischen Gesellschaft im September 2009 befasste sich mit Wirtschaftskriminalität und Gewaltdelinquenz. Dieser Band (es gibt zwei) dokumentiert in vier Abschnitten das erste Hauptthema.

I. Wirtschaftskriminalität und Strafrechtspraxis: Ein Bundesrichter erläutert die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Wirtschaftskriminalität und Korruption, und er formuliert seine tiefen Vorbehalte gegen die seit 2009 auch kodifizierte Verständigung im Strafverfahren (Fischer). Eine Analyse der „Signale aus Karlsruhe“ ergibt keine aktuell verschärfte Sanktionspraxis des Bundesgerichtshofs bei Wirtschaftskriminalität. Garantenpflichten der „Compliance Officers“ erweitern aber den strafrechtlichen Haftungsrahmen (Momsen). Der dritte Beitrag beschreibt aktuelle Erscheinungsformen von Wirtschaftskriminalität und Schwierigkeiten ihrer Bewältigung bei der Verteidigung (Schrödel).

II. Wirtschaftskriminalität aus Sicht der Unternehmen: Einer reichhaltigen theoretischen und empirischen Aufarbeitung von Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur (Bussmann) folgt die Darstellung der neuen Compliance-Praxis bei der Siemens AG (Moosmayer), dann eine Abhandlung mit Erklärungsansätzen unternehmensinterner Wirtschaftsdelikte, Tätermerkmalen, Präventionsansätzen sowie Hinweisen zu praktischen Überwachungsmaßnahmen (Hülsberg/Scheben).

III. Wirtschaftskriminologie und Wirtschaftsstraftäter: Spieltheoretische Ansätze zeigen, dass das Modell „homo oeconomicus“ nicht ausreicht, um wirtschaftliches Handeln, Wirtschaftskriminalität und die Rolle von Strafandrohungen zu erklären (Laue). Nach einer Analyse zur generalpräventiven Wirkung des Strafrechts auf Wirtschaftskriminalität (Kaspar), werden aus der PricewaterhouseCoopers-Studie „Wirtschaftskriminalität 2009“ Ergebnisse zur Persönlichkeit von Wirtschaftsstraftätern vorgestellt (Salvenmoser/Schmitt) und anschließend Befunde aus dem Forschungsprojekt „Der Wirtschaftsstraftäter in seinen sozialen Bezügen“ - mit einer Fülle quantitativer und qualitativer Ergebnisse und Hinweisen für die Unternehmenspraxis (Schneider/John).

IV. Spezielle Bereiche: OECD-eigene Erhebungen zur Umsetzung des Übereinkommens gegen Auslandsbestechung divergieren teilweise mit offiziellen Daten aus den Staaten. Ein Fazit (S. 184): „Die OECD wie der Europarat und die UNO haben erhebliche Schwierigkeiten, die Normen gegen die Korruption durchzusetzen.“ (Pieth). § 299 StGB hat Regelungslücken. Es gibt, so eine Aktenanalyse, zudem Anwendungsdefizite (Braasch). In Beiträgen zu Betrug im Gesundheitswesen (Meier) beziehungsweise speziell über Abrechnungsverstöße bei stationärer Versorgung (Kölbel) wird insbesondere die Kontrollpraxis der Krankenkassen kritisch beleuchtet. Den Abschluss bildet eine eingängige Erläuterung von Hintergründen der Finanzkrise. Die vorgesehene strafrechtliche Sicht ist hier jedoch recht knapp ausgefallen (Schröder).

Der pauschale Buchtitel „Wirtschaftskriminalität“ verspricht mehr als möglich ist. Die Themen sind aber überaus aktuell und bieten eine gelungene Mischung aus Rechtsdogmatik, Rechtsprechung, kriminologischer Theorie und Empirie sowie Praxisinformationen. Wer hier Zugänge sucht, wird gut bedient und findet reichlich Verweise. Der Sammelband kann, was auch anklingt, zur (Fort-)Entwicklung des Zweigs „Wirtschaftskriminologie“ beitragen. Diese Teildisziplin sollte der Versuchung widerstehen, Wirtschaftsstraftäter in einem relativ milden Licht erscheinen zu lassen. Vereinzelt lässt sich (hoffentlich überzogen interpretiert) solch ein Subtext herauslesen.

(Johann Kubica)

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