Publikationen
Rezension

David Healey: Pharmageddon

University of California Press, Berkeley-Los Angeles 2012, 302 Seiten, 41,95 US Dollar/28,95 Britische Pfund Sterling

David Healey formuliert verständlich und hat seine Argumente gegen die mächtige Pharma-Lobby gut abgesichert. Er beschreibt das, „was einmal Medizin war“, als ein von Gier deformiertes Unwesen, welches mehr Leid als Nutzen stiftet. Er liefert zahlreiche Belege für ein weltweit zunehmend von egoistischen Wirtschaftsinteressen deformiertes Gesundheitswesen. Healy weist nach, wie unabhängige, bedarfsgerechte und nutzenorientierte Forschung und Entwicklung aus Universitäten, Kliniken und Instituten verdrängt wurden. Teure und mit oft tödlichen Nebenwirkungen einhergehende Scheininnovationen werden als „Blockbuster“ von korrupten Experten in Publikationen, Leitlinien und auf Kongressen genau so offensiv und erfolgreich als Marke etabliert wie sonst Turnschuhe oder koffeinhaltige Getränke. Obwohl einzelne Patienten von der wunderbaren Wirksamkeit einiger neuer Medikamente sehr profitieren, ist deren Gesamtwirkung auf die Bevölkerung verheerend. Als strategische Hebel hat die Arzneimittelindustrie vor allem drei Mechanismen politisch absichern lassen: großzügige Patent- und Monopolisierungsregeln, ärztliche Verschreibungspflicht und die Verkürzung der medizinischen Evidenz auf randomisierte klinische Studien. Wenn Sponsoren aus der Industrie dabei auch noch Einfluss auf die Veröffentlichung der Ergebnisse dieser Studien nehmen können, dann bleibt von evidenzbasierter Medizin nicht mehr viel übrig.

Bei der Lektüre des hervorragend recherchierten Buches wird klar, weshalb Prävention und gute, kritische Ärzte in diesem System keine Chance haben. Weder mit kritischen Ärzten noch mit Prävention könnten die Investoren der Gesundheitswirtschaft reich werden. Darum schafft der Moloch sich Krankheiten und Kranke. Er lebt gut von ihnen, auch wenn die Lebenserwartung in den USA, dem Stammland dieser Entwicklung inzwischen deutlich abnimmt. Die Tricks, Betrügereien und Bestechungen, mit denen unser Gesundheitswesen von den Profis des Pharma-Marketings überwältigt wird, zeigt David Healey in einer Deutlichkeit, die den sehnlichen Wunsch aufkommen lässt, dass dieses Buch doch zur Pflichtlektüre für Mediziner, Gesundheitspolitiker und Patientenvertreter werden sollte. Es fehlt diesem Buch bisher nur eines: Eine Übersetzung ins Deutsche.

(Dr. Wolfgang Wodarg)

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