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Rezension

Rezension "Handbuch Lobbyismus" mit Lösungsvorschlägen

© Springer
Wiesbaden: Springer Fachmedien (2023); ISBN: 978-3-658-32319-6; 986 Seiten, 129,99 Euro.

Diese Rezension ist ursprünglich im Scheinwerfer 102 (S. 38) von April 2024 erschienen. Am Ende des Textes finden Sie zusätzlich zur Druckfassung eine Tabelle mit Lösungsvorschlägen.

Von Andreas Wagner

Dieses große Nachschlagewerk, herausgegeben von Prof. Dr. Andreas Polk und Dr. Karsten Mause, beleuchtet alle denkbaren Aspekte der Einflussnahme durch Interessenvertretende in der Politik. Zunächst werden die Grundlagen zum Lobbyismus zum Beispiel aus politischer, soziologischer, rechtswissenschaftlicher oder ökonomischer Perspektive beschrieben. Im Kapitel „Einflusskanäle des Lobbyismus“ werden die entsprechenden Werkzeuge analysiert. Hierzu zählen Instrumente von informellem Lobbying über Parteispenden und Sponsoring bis hin zu Korruptionszahlungen. Das dritte Kapitel vergleicht den heutigen Lobbyismus in verschiedenen europäischen Ländern sowie in den USA, Russland und China. Im letzten Kapitel wird beschrieben, wie Lobbyismus in verschiedenen Sektoren wie Verkehr, Handel, Gesundheit und Energie funktioniert.

Die Herausgeber lassen in diesem Handbuch verschiedene Wissenschaftler:innen mit ihren Forschungsergebnissen zu Wort kommen, darunter einige, die ehrenamtlich bei Transparency Deutschland aktiv sind, u.a. Andreas Polk selbst als Beiratsmitglied. Mit etwa 50 Beiträgen ergibt sich eine Vielzahl von interessanten Erkenntnissen. Dazu gehört, dass einige aktuelle Gesetzesnovellen kritisch beleuchtet und diskutiert werden, beispielsweise die Wirkung von Spendenlimits, die Wirksamkeit der Lobbyregisterreform oder der Verhaltenskodex für Abgeordnete. Besonders wertvoll ist auch ein Vergleich von Regelungen zu Parteispenden in unterschiedlichen Ländern. Es wird deutlich, dass in Deutschland der Einflussweg über Geldzahlungen wie Parteienspenden und Sponsoring eher rückläufig ist, während das informationelle Lobbying durch Gutachten, Statistiken und Forschungsberichte wichtiger wird.

Was das Buch so konkret und besonders nützlich macht, sind die vielen Bezüge zur aktuellen Politik sowie die Verbesserungsvorschläge, um illegale oder illegitime Lobbyismusformen besser einzudämmen. Das Handbuch ist damit eine umfassende Quelle für Journalist:innen, Transparency-Mitglieder, politische Mandatsträger:innen, Studierende oder Wissenschaftler:innen sowie alle Interessierten.

Im folgenden finden Sie eine Übersicht über die praktischen Lösungsansätze, die das Handbuch liefert.


Ausgewählte Lösungsvorschläge für aktuelle Herausforderungen im Lobbyismus

Um einen besseren Eindruck über die Inhalte des „Handbuchs Lobbyismus“ zu bekommen, anbei einige Beispiele, die zeigen, welche praktischen Lösungsansätze hier diskutiert werden. Weitere Informationen aus den ca. 50 einzelnen Beiträgen finden sich im Inhaltsverzeichnis des Handbuchs. 

Thema

Lösungsansatz

Lobbying „auf dem Rechtsweg“ 

Beispiele für erfolgreiches „Lobbying auf dem Rechtsweg“:

  1. Klage gegen Klimaschutzgesetz stattgegeben, da nicht generationengerecht, weil keine Maßnahmen nach 2031 vorgesehen sind.
  2. Anklage gegen  Entzug der Gemeinnützigkeit bei politischer Betätigung von Vereinen.

S. 34

Problem von interministeriellen Spenden  

Bundesrechnungshof empfiehlt, eine interministerielle Zuwendungsrichtlinie zu erarbeiten, Compliance Prozesse zu etablieren und einen Sponsoring Bericht zu erarbeiten. Bereits besser in Österreich umgesetzt: 

S. 314 - 316

Abgeordnetengesetzesnovelle 2021  

Dazu ausführliche Kommentierung: Hauptkritik, dass das Trans-parenzregister nicht durch ein unabhängiges Gremium, sondern durch die Buta-Verwaltung selbst verwaltet werden soll.

S. 342

Illegitimer Einfluss von Amtsträgern die ehemals Wirtschaftslobbyisten waren

Zur Vermeidung von Missbrauch werden Melde- und Bewilligungspflichten, Karenzzeiten, Einschränkung von Entscheidungskompetenz sowie Trennung von finanziellen Interessen gegenüber dem alten Arbeitgeber empfohlen.

S. 365

Beeinflussung durch materielle / immaterielle Geschenke

Besonders immaterielle Geschenke lassen sich schwer durch Vorschriften ändern. Eher durch eine Änderung der Kultur oder sozialer Normen; ergo über Compliance Regeln. Die angesprochenen Formen von möglicher Selbsttäuschung lassen sich so bewusst machen.

S. 428

Lobbyregisternovellierung im Bund 2021

Die Novellierung wird begrüßt, sie greife aber in Sachen Transparenz zu kurz. Deutlich schlechter als in den USA.

S. 451/452

Problematisch auch, dass Lobbyagenturen ihre Auftraggeber nicht nennen müssen.

S.505

Problem des informationellen Lobbyeinfluss, der stark zunimmt

Aus den Daten des Lobbyregisters lässt sich ein starke Bedeutung des informationellen (nicht informellen) Lobbyismus ableiten. Ein wirksamer exekutiver und legislativer Fußabdruck sollte daher alle Eingaben, Stellungnahmen und Standpunkte im Gesetzgebungs-Prozess vollständig widergeben.  Problematisch wird das Outsourcing im Gesetzgebungsverfahren angesehen.

S.521

Abbau von Bürokratie und „schlechten gemachten“ Gesetzesausarbeitungen

Die EU-Kommission hat unter „better regulation“ eine geordnete Überprüfung von Gesetzen mit Folgeabschätzung  (REFIT). Die REFIT-Platform bleibt jedoch bisher scheinbar noch relativ unbeachtet.

S. 627

Neue Partizipationsansätze bei der Gesetzgebung in Deutschland

Für eine gute gesamtwirtschaftliche Entwicklung sei es nach Olson wichtig, dass der Staat eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Interessensgruppenlandschaft wahrnimmt.

S.838

Die Bundesregierung setzt dazu seit 2018 auf partizipatorische Pro-zesse (Dialog-Plattformen und Kommissionen um relevante Stake-holder einzubinden). Solche runden Tische können aber auch miss-braucht werden, je nachdem wer teilnimmt oder moderiert.

S. 854

Politikversagen durch fragmentiertes Nutznießertum

Im Energiesektor haben auch Unternehmen der erneuerbaren Energien  nennenswerten Einfluss. Es ist dabei zu einem sehr stark ausdifferenzierten Fördersystem gekommen, bei dem verschiedene Interessensgruppen zu partiellen Nutznießer wurden. An diesem Prinzip hat die Politik durchaus ein strategisches Interesse um Widerstände zu fragmentieren (wie auch in der Landwirtschaft).  Die Politik macht sich zur Zielscheibe von Sonderinteressen. Das führt zur Unterhöhlung der Staatsautorität durch partikulare Gewalten. Eher sind marktbasierte Instrumente, wie das EU-Emissionshandelssystem (CO2 Preis) wirkungsvoll und weniger anfällig für den Einfluss einzelner Interessensgruppen.

S. 859-860

Problematischer Einfluss von Interessensorganisationen in Schulen

Kostenlose Unterrichtsmaterialien, häufig von Interessens-organisationen bzw. Lobbyisten angeboten, werden in Schulen häufig genutzt. Lehrer sind oft überfordert, einzuschätzen, wie es mit der Qualität bzw. möglicher problematischer Inhalte bestellt ist. Vorschlag: ein Qualitätssiegel von unten. Dabei sollten die Landesministerien eine Plattform schaffen.                                 

S. 937

Arbeitsschwerpunkte der Lobbyisten im Medienmarkt

Lobbyisten fokussieren ihr Arbeit am ehesten auf Medien, die weniger gegen oder für das Thema eingenommen sind, sondern eher unverzerrt berichten wollen.

S. 978

Problem zum Trend zu obskuren Nachrichten erkennen

Nachrichten werden heute vorrangig über „Gatekeeper“ konsumiert, deren Inhalte algorithmisch nach den politischen Präferenzen des Nutzers ausgewertet wurden. Diese Inhalte werden nicht nach Qualität des Anbieters, sondern nach spontaner Attraktion mit eher obskuren Inhalten ausgewählt. Dadurch steigt die Gefahr von Filterblasen und Echokammern und letztlich zu einer politischen Polarisierung und Fragmentierung der Gesellschaft. Das hat auch Auswirkungen auf den Lobbyeinfluss im Medienmarkt. Eher kleine Medienanbieter mit obskuren Nachrichten finden neue Werbekunden, die im reinen Produktwerbemarkt durch „information overflow“ wenig Chancen haben, jedoch hier im Nachrichtenmarkt.

S. 981