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Rezension

Dina Michels: "Weiße Kittel – Dunkle Geschäfte. Im Kampf gegen die Gesundheitsmafia"

Berlin: Rowohlt Verlag 2009. ISBN 978-3-87134-643-9. 208 Seiten. 16,90 Euro.

Die Autorin, Leiterin der Abteilung zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen bei einer der großen Ersatzkassen, der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover (KKH-Allianz), beschreibt in sehr eindringlicher Weise, wie in unserem Gesundheitssystem systematisch betrogen, korrumpiert und mit illegalen Praktiken die Versichertengemeinschaft jährlich um viele Millionen, wenn nicht Milliarden Euro geschädigt wird. Die zahlreichen Fallbeispiele lesen sich so spannend wie ein Kriminalroman – allerdings entstammen sie alle der Realität: die tägliche Ermittlungsarbeit der Autorin belegt, wie weit die betrügerischen Machenschaften gehen und wie diese offenbar fast ubiquitär im medizinischen Alltag bei niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken, Physiotherapie-Praxen, anderen Heilhilfsberufen oder Sanitätshäusern vorkommen.
Dina Michels Buch ist eine Fallsammlung von besonderem Wert: exemplarisch werden bestimmte Betrugs- und Korruptionsmuster beleuchtet, aber auch die sie begünstigenden Besonderheiten des deutschen Gesundheitssystems. Als gelernte Juristin entlarvt die Autorin das notorische Versagen der Aufsichts- und Kontrollmechanismen einschließlich der nur unzulänglichen strafrechtlichen Verfolgung von zur Anzeige gebrachten Delikten. Dina Michels beklagt die Halbherzigkeit der staatsanwaltlichen Ermittlungen, die oftmals zur Einstellung von Verfahren führt. Hauptursachen hierfür: mangelnde personelle Ausstattung, aber auch Kompetenzdefizite bei den ermittelnden Behörden, gepaart mit einer immer noch ausgeprägten Hochachtung vor den „weißen Kitteln“. Für Dina Michels ist die Erfahrung, dass die im Gesundheitsbereich tätigen Berufsgruppen die Konsequenzen ihres betrügerischen Tuns nicht fürchten müssen, da es nur in seltensten Fällen zu Entdeckung und noch viel seltener zu ernsthaften Sanktionen kommt, Hauptnährboden für ihre zunehmende Anfälligkeit. In sechs Kapiteln über Leistungsanbieter (Apotheker auf Abwegen, Betrüger in Weiß, Therapeuten im Zwielicht, Gut geschmiert ist halb gewonnen [Gesundheitshandwerker oder Heilhilfsberufler bzw. Sanitätshäuser], Tatort Krankenhaus) und einem über die Leistungsempfänger (Patienten als Selbstbediener) werden reale Fälle aus der Ermittlungsarbeit geschildert und die Auswirkungen dieser betrügerischen Verhaltensweisen für die Versichertengemeinschaft berechnet. Bemerkenswert ist, dass allein in zwei Jahren von einer einzigen Kasse in über 1.100 Delikten ermittelt wurde, ein Fünftel davon betrafen Ärzte und Zahnärzte.
Gleichzeitig zeugt ihr Buch aber auch von den Möglichkeiten der Kostenträger im Gesundheitswesen, effiziente Gegenmaßnahmen zu entwickeln und erfolgreiche Korruptionsbekämpfung zu betreiben. Die von der Arbeitsgruppe Gesundheit von Transparency Deutschland anhand internationaler Erhebungen veröffentlichte Schätzung, dass zwischen drei und zehn Prozent des Gesundheitsetats (das heißt zwischen sechs und 24 Milliarden Euro) jährlich durch Betrug und Korruption im deutschen Gesundheitswesen verlorengehen, wird durch die vorgelegten Fallbeispiele und Hochrechnungen untermauert. Eine konsequente Nutzung der schon heute vorhandenen Instrumente wie zum Beispiel ein gemeinsames Vorgehen der bei den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen eingerichteten Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen sowie eine entsprechende personelle Ausstattung dieser Stellen würde hierzu ebenso einen Beitrag leisten können wie verschiedene andere Maßnahmen, die im Schlusskapitel des Buches „Sieben Vorschläge, wie wir die Täter stoppen können“ diskutiert werden. Hier werden sowohl die Patienten als auch die Krankenkassen aufgefordert, entschiedener gegen Unregelmäßigkeiten vorzugehen und diese zur Anzeige zu bringen. Eine Veränderung der gegenwärtigen Justizpraxis und eine konsequente Anwendung der gesetzlichen Grundlagen wie etwa des §299 StGB oder des §263 StGB auf den Gesundheitsbereich sind nach Ansicht der Autorin unabdingbar, um die von ihr analysierten Schwachstellen wirksam zu bekämpfen. Die Krankenkassen mit ihren zunehmenden Möglichkeiten, aus den ihnen übermittelten Daten Betrugsfälle zu „fischen“, können durch bessere Zusammenarbeit untereinander, aber auch mit den Kassenärztlichen Vereinigungen nach Ansicht der Autorin viel effizienter werden. Ebenso kann die neue Gesundheitskarte zu mehr Transparenz und damit zu weniger Missbrauch im Gesundheitswesen führen. Das Buch ist eine hochinteressante Quelle von gut recherchierten und oftmals dramatischen Betrugs- und Missbrauchsmustern im Gesundheitswesen. Es sollte alle Angehörigen des Gesundheitsfachs, aber auch Personenkreise außerhalb des Gesundheitssystems, insbesondere aber Juristen, Aufsichtsbehörden und die Gesundheitspolitik interessieren.
Dina Michels erläutert ihr Motiv, dieses mutige und offene
Buch zu schreiben, wie folgt: „Bis heute sind sich die meisten Menschen gar nicht bewusst, welch ein großes Problem Betrug und Korruption oder Vetternwirtschaft im Gesundheitswesen in Wahrheit ist. In Sizilien gingen die Behörden erst dann wirksam gegen die Mafia vor, als die Öffentlichkeit gegen Ende des letzten Jahrhunderts akzeptieren musste, dass es diese Kartelle tatsächlich gab. Vorher war ihre Existenz von den Eliten schlichtweg verneint worden. Auch wenn im deutschen Gesundheitswesen keine sizilianischen Verhältnisse herrschen, steht eines fest: Verschweigen und Zudecken dient nur den Tätern.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Angela Spelsberg

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