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Rezension

Frank Überall: Der Klüngel in der politischen Kultur Kölns

Köln: Bouvier 2007. ISBN 3-416-03125-3. 271 Seiten 19,90 Euro

Frank Überalls 250 Seiten umfassendes Buch ist eine Dissertation, mit der der Verfasser eine „analytische Aufarbeitung dieser allgegenwärtigen Attitüde, die nicht nur in Köln zu finden ist“, leisten will. Wie man es von einem seit über 15 Jahren in Köln tätigen Journalisten erwarten darf, ist ihm mehr als eine nur politologischen Fachanforderungen genügende Arbeit gelungen. Obwohl ein – dem wissen-schaftlichen Anspruch geschuldeter – häufiger Wechsel der Betrachtung die Lektüre nicht immer ganz leicht macht, gibt es nicht nur dem mit Kölner Verhältnissen ein wenig vertrauten Leser einen breit angelegten, zuverlässigen und spannenden Überblick und Einblick in die vergangene und gegenwärtige gesellschaftliche Kultur einer Stadt, deren Reputation nicht selten mit dem „Klüngel“ ein Synonym bildet. Die Vieldeutigkeit des Begriffs, um dessen Klärung sich vor Überall schon etliche andere Autoren unterschiedlicher Kompetenz und Provenienz wissenschaftlich und literarisch bemüht hatten, erweist sich am Ende allerdings als recht resistent gegenüber allen scharfsinnigen oder gut gemeinten Analysen. Der Klüngel und sein verbaler Zwilling „klüngeln“ bleiben als Phänomen der politischen Kultur so vielfältig,

schillernd und unbestimmt, wie manche in diesem Szenario anzutreffende Akteure oder Aktricen dem Betrachter auch in persona erscheinen. Überall definiert Klüngel als „eine Geisteshaltung; die eine prinzipielle Bereitschaft zum unkomplizierten Umgang mit Kommunikation, Verhandlung und Tausch beinhaltet. Im Bereich der (Kommunal-)Politik gilt er zusätzlich als Synonym für geheime Absprachen, aber auch für die prinzipielle Bereitschaft zur Kooperation. Klüngel ist nicht gleich Korruption, es gibt allerdings die latente Gefahr der 'Abrutschens' von Klüngel-Beziehungen in korruptive Verhaltensweisen.“ (Seite 17)

Im weiteren beschreibt der Autor Klüngel als Phänomen, das nur in „Interaktionen zwischen Individuen und Gruppen zum Ausdruck kommt ...Wichtig ist dabei, dass es sich um eine persönliche Haltung zur Präjudizierung von Handlungsoptionen handelt“. Als Modell einer optischen Darstellung nutzt Überall eine dreistufige Pyramide, deren Basis er mit „situativer Kooperation“, das Mittelgeschoss mit

„Netzwerke“ und die Spitze mit „Korruption“ bezeichnet. Dieses Modell erweist sich mit seinen fließenden Grauzonen als Deutungsmuster für den Klüngelprozess tauglicher als die ebenfalls verwendete Antinomie von „positivem“ und „negativem“

Klüngel (Seite 242) .

Deutlich breiteren Raum als die politologisch-analytischen Passagen nehmen die empirischen Teile des Buches ein. Sie umfassen die Darstellung einer Vielzahl „historischer“ Vorgänge in der Kölner Szene aus der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunderts. Überall stützt sich weitgehend auf die öffentliche Berichterstattung, Protokolle und auf seine eigene „Ressource teilnehmender Beobachtung“; daneben hat mit rund fünfzig namentlich genannten Personen des öffentlichen Lebens strukturierte Interviews geführt und verwertet. Das dokumentierte Kölner „Sündenregister“ umfasst sowohl eine Reihe prominenter Akteure als auch die großen, mittleren und kleineren Vorgänge vom Müll- und Spendenskandal,

Müllverbrennungsanlage und Müllabfuhr über die Köln- Arena und die Köln-Messe bis zur Verteilung der Schulleiterposten oder den Streit um den Straßenstrich. Nicht zu vergessen die kleineren Affären, die gleichsam „in der Familie“ bleiben und meistens mit Personalpolitik zu tun haben, zutreffender aber als Ämterpatronage oder Filz zu bezeichnen sind.

Frank Überalls Arbeit ist verdienstvoll. Dass seine Analyse der Vielfalt der Probleme nicht immer gerecht werden kann, liegt in der Natur der Sache. Gleichwohl hilft sie da und dort zum besseren Verständnis der Prozesse. Den mahnenden Zeigerfinger hat Überall begreiflicherweise in der Tasche gelassen. Sein Buch ist weder eine Kampfschrift noch ein Katechismus. Er versucht nicht, moralisch anzuprangern oder zu verurteilen. Vielmehr geht er davon aus, dass in Köln morgen genauso geklüngelt wird wie heute und gestern. Die Selbstliebe und Selbstgewissheit, mit der Köln das Klüngeln als sein ererbtes kulturelles Privileg pflegt, gibt dafür die Garantie.

Peter von Blomberg

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