Publikationen
Rezension

Graeff, Peter; Schröder, Karenina; Wolf, Sebastian: Der Korruptionsfall Siemens Analysen und praxisnahe Folgerungen des wissenschaftlichen Arbeitskreises von Transparency International Deutschland

Baden-Baden: NOMOS Verlagsgesellschaft; 2009, ISBN 978-3-8329-4203-8, 206 S., 24 Euro

Rezension 1: Hier gelangen Sie zur Rezension von Dr. Olaf Meyer, erschienen in "Neue Juristische Wochenschrift" (Heft 26/2009, S. 1864).

Rezension 2 von Michael Schellberg und Christian Steinberg:

„Ich weiß weder, wie tief der Sumpf ist, noch, wie weit er reicht.“ (Klaus Kleinfeld, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Siemens AG)

„Der Fall Siemens“ hielt die deutsche Öffentlichkeit über Monate in Atem. Wie selten zuvor bestimmte eine wirtschaftliche Affäre so lange die öffentliche Diskussion. Das hatte gute Gründe. Bestand doch diesmal kein Zweifel darüber, dass die in wirtschaftlichen Kreisen lange gehegte und gepflegte These, es handele sich lediglich um einzelne schwarze Schafe nicht mehr haltbar war.

Die Überschriften „Die Firma“ oder „Das System Siemens“ in den Leitartikeln des Spiegel und der SZ, machten einer breiten Öffentlichkeit deutlich, dass wirtschaftsethische Herausforderungen nicht länger die persönliche Angelegenheit von einzelnen verirrten und gierig gewordenen Schäfchen sind, sondern auch die institutionelle Angelegenheit einer ganzen Herde schwarzer Schafe und ihrer Leittiere sein könnte.

Die Krise an den Finanzmärkten und ihre unübersehbaren Folgen haben eine genauere Analyse der ewigen Antipoden Wirtschaft und Ethik in der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte immer zwingender werden lassen.  Verirrte Schafe, verirrte Herden und verirrte Hirten prägen gegenwärtig die öffentliche Wahrnehmung einer außer Rand und Band geratenen Wirtschaft und ihrer Akteure.

Den Autoren des jüngst im Nomos Verlag erschienenen Buches „Der Korruptionsfall Siemens“ ist es gelungen, ihren Blick abseits dieser öffentlichen Empörung auf das zu richten, was notwendiger erscheint als einzelne Personen, Institutionen und Systeme per se und voreilig an den öffentlichen Pranger zu stellen.

Den Autoren ist es gelungen, eine exakte interdisziplinäre Analyse samt Vorschlägen für einen Praxistransfer dafür zu liefern, dass zukünftig eine wirksamere Korruptionsbekämpfung möglich erscheint, sei es bei Siemens oder anderswo.

Es geht um einen effektiven Umgang mit Korruption und der diese begleitenden Phänomene, der weit über blumige Formulierungen von Codes of Conduct wie denen der Siemens AG hinausgeht, nach der „sowohl den strategischen Überlegungen als auch dem Tagesgeschäft stets hohe ethische und rechtliche Standards zu Grunde liegen.“

Dem Buch gelingt das, was sowohl in der öffentlichen aber auch in der wissenschaftlichen Debatte oftmals fehlt: Eine detaillierte phänomenologische Betrachtung über mehrere Disziplinen hinweg. Von den strafrechtlichen Folgen angeblicher Bestechung im Unternehmensinteresse, über wirksame Instrumente zur Korruptionsbekämpfung, vom Einfluss politischer Rahmenbedingungen, über das Engagement einer transnationalen Zivilgesellschaft bis zur Analyse der Unternehmenskultur, von der Organisation von Korruption, über den durch sie erzeugten Druck auf Einzelne bis hin zu den sozialen Aspekten, unter denen Korruption wahrscheinlich wird spannen die Autoren ein weites Erkenntnis-Netz für den zukünftigen Umgang mit Korruption.

Ein Buch für alle, die Lust haben, zukünftig auf ihre stereotype Antwort „Man kann in manchen Ländern eben keine Geschäfte machen, wenn man keine Umschläge unter Tischen durchschiebt“ zu verzichten und diese durch die alternative Entscheidung zu ersetzen: „Dann machen wir eben in diesen Ländern keine Geschäfte!“

Ein Buch, das helfen könnte, das Phänomen Korruption nicht in erster Linie als unmoralisches zu interpretieren, sondern erfolgreiche Korruptionsbekämpfung als notwendige Managementaufgabe zu begreifen, deren Überlegungen sich in etwa so anhörten: „Wenn wir Korruption nötig haben, dann sind unsere Produkte scheinbar nicht gut genug, um mit ihnen zu überzeugen! Wenn wir Korruption nötig haben, um die Umsatzerwartungen von Analysten erreichen, dann ist unsere Kommunikation mit der Öffentlichkeit falsch. Wenn wir das Geld, das wir jetzt in Korruption investieren, in die Innovation unserer Produkte investierten, wo stehen wir morgen?“

Ein Buch, das aufzeigt, dass Korruption nur dann erfolgreich bekämpft werden kann, wenn man sich der Bedingungen bewusst wird, unter denen das zarte Pflänzchen der Verführung zu flächendeckendem Unkraut wird. Eine messerscharfe Analyse, die aufzeigt, dass man als Unternehmen der Prävention eine ebenso hohe Bedeutung zumessen muss, wie der Findung von konkreten Lösungen, die in das kulturelle und soziale Innenleben einer Organisation hineinreichen. Hat doch der „Fall Siemens“ eines in besonderem Maße deutlich gemacht: Die zukünftig notwendige Verzahnung von rechtlichen Standards im Sinne von Compliance und ethischen Standards im Sinne von Integrity.

Nur wer bereit ist, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, inwieweit formelle Complianceregeln durch die systematische Einbindung und Aktivierung der informellen Ressourcen eines Unternehmens – also seiner originären Potenziale wie Werte, Moral, Ethik und Kultur, kurz: Integrität - eine signifikante Ergänzung erfahren müssen, handelt tatsächlich im Sinne des Unternehmens.

Allen Führungskräften, die in der Lage sein wollen, die potenziellen Spannungsfelder zwischen Compliance („Tun, was man muss, weil man es soll“) und Integrity („Wollen, was man soll“) sowie Illegalität und Illegitimität zukünftig trennschärfer zu behandeln, sei das Buch von Peter Graeff, Karenina Schröder und Sebastian Wolf wärmstens ans Herz gelegt.

Allen, die immer noch der Meinung sind, es reiche, sich lediglich auf dem Papier höchsten ethischen und rechtlichen Standards zu verpflichten, sei dieses Buch eine Warnung. Es sei denn, sie sind besonders erpicht darauf, im nächsten Buch der Autoren eine wenig rühmliche Haupotrolle unter dem Titel „Der Korruptionsfall XY“ zu spielen und weiterhin im tiefen Sumpf zu stehen.

Michael Schellberg und Christian Steinberg

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers / der Verfasserin wieder.