Publikationen
Rezension

Grüne , Niels und Slanicka Simona (Hg.): "Korruption - Historische Annäherungen an eine Grundfigur politischer Kommunikation"

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010. ISBN 978-3-525-35850-4, 474 S. 69 Euro

„Historische Annäherungen an eine Grundfigur politischer Kommunikation“ lautet der schwierige Untertitel eines Buches, das die Herausgeber schlicht „Korruption“ genannt haben. Es enthält unter anderem Beiträge über unerlaubte Wahlwerbung im alten Rom, über Erziehung zur  Korruptionsbekämpfung in mittelalterlichen Fürstenspiegeln, über die Korruptionssemantik in deutschen und englischen Bibelübersetzungen oder über korrupte Gesandte in der  Diplomatie der frühen Neuzeit. Aber es geht auch um „ehrbare Bestechung“ als Medium der Politik in US-amerikanischen Städten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und um die Frage, ob man den Korruptionsbegriff auf Russland und die Sowjetunion eigentlich anwenden kann. Der Sammelband ist ein beachtlicher Wurf: Äußerst vielseitig und gut mit Quellen belegt. Er geht auf zwei Tagungen im Jahr 2008 zurück, eine davon im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld, die andere auf dem Dresdner Historikertag. Beide hatten wissenschaftliche Vorläufer, die sich historisch mit Kommunikationsprozessen bei Korruption auseinandergesetzt hatten. Weitere Schubkraft gewann das Projekt durch die Finanzmarktkrise, die in den historischen Wissenschaften den Wunsch nach einer Kulturgeschichte der  Ökonomie wiederbelebt hatte. Damit gewannen Fragen nach dem   Spannungsfeld zwischen Amtsverständnis und Eigeninteresse, zwischen öffentlichen und privaten Loyalitäten und den jeweils gültigen gesellschaftlichen Normen und deren Veränderungen im Verlauf der Geschichte, neues Interesse. In der theoretischen Betrachtung des Korruptionsbegriffs sind die juristische, die organisationstheoretische, die soziologische und die politische Perspektive zu unterscheiden; eine eindeutige Definition, die für alles gilt, lässt sich nicht finden. Das vorliegende Buch belehrt uns, dass auch die historische Perspektive nicht vernachlässigt werden darf; denn was wir weltweit als Korruption beobachten, hat kulturgeschichtliche Wurzeln, die sehr unterschiedlich sein können und – so zeigen einige der Artikel – in bestimmten Gesellschaften zu bestimmten Zeiten überlebenswichtig waren. Der korruptionsgeschichtliche Ansatz rückt etablierte historische  Interpretationskonzepte – zum Beispiel zu Geschenken und zum Gabentausch oder zur Ämterpatronage – Rezensionen 31 in ein neues Licht. Alle AutorInnen lassen keinen Zweifel an der Strafwürdigkeit von Korruptionsdelikten und dem gesellschaftlichen Schaden, den sie stiften. Der Zusammenhang von Korruptionsbekämpfung, die man in Bibeltexten genauso finden kann wie im alten Rom, und dem, was wir heute „good governance“ oder „corporate social responsibility“ nennen, wird nicht expressis verbis hergestellt. Aber unausgesprochen ist er deutlich da in der Art und Weise, wie wir die Quellen lesen und bewerten. Als Quintessenz bleibt: Nur in einer lupenrein funktionierenden Demokratie lässt sich Korruption als  „Grundfigur politischer Kommunikation“ vermutlich so diskreditieren, dass sie unterbleibt.
(Anke Martiny)

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers / der Verfasserin wieder.