Publikationen
Rezension

Gunnar Duttge (Hg.): Tatort Gesundheitsmarkt. Rechtswirklichkeit - Strafwürdigkeit - Prävention.

Universitätsverlag Göttingen 2011, 128 Seiten, Creative Commons License 3.0 “bynd”, webdoc.sub.gwdg.de/univerlag/2011/GSK20.pdf

Es handelt sich um in Buchform überarbeitete Vorträge einer am 8. Juli 2011 vom Göttinger Institut für Kriminalwissenschaften durchgeführten Jahrestagung. Der Titel lässt vermuten, dass die Initiatoren aus strafrechtlicher Sicht ein Segment des Marktes betrachten wollen, welches Waren und Dienstleistungen mit Bedeutung für „Gesundheit“ zum Gegenstand hat. Der Markt als gesellschaftliches Subsystem ist gekennzeichnet durch einen Wettbewerb um den Verkauf möglichst vieler Waren und Dienstleistungen mit dem Ziel möglichst hoher, privater Gewinnschöpfung. Für die Gesundheit der Bevölkerung ist das problematisch, „brummt der Laden“ doch besonders gut, wenn viele fürchten, krank zu sein oder es tatsächlich sind. Dass ein Gesundheitswesen nicht mit der Elle des Marktes hinreichend ausgemessen werden kann, zeigt Skandinavien, dessen Bürger voller Stolz auf ihr staatliches Hilfesystem verweisen. Bis auf eine Ausnahme scheinen sich die Autoren mit unserer dominanten Gesundheitswirtschaft abgefunden zu haben. Dass gerade Wirtschaftsjuristen von dieser Intransparenz unseres Gesundheitswesens sehr gut leben können, zeigt aber nur, dass das profitorientierte Wirtschaftssystem in unserer Gesellschaft - selbst von kritischen Geistern oft unerkannt - neben dem Gesundheitssystem auch das Rechtssystem bereits korrumpiert hat. Das ernstgemeinte Zitat „...der Jurist ist gut beraten, sich den Mediziner nicht zuvergraulen“ (S.45) spricht Bände. Selbst der Sozialrechtler Friedrich E. Schnapp (S.47 ff.) meint die staatsexaminierten Kollegen von der medizinischen Fakultät vor einer strafrechtlichen Inanspruchnahme als Sachwalter anvertrauten öffentlichen Gutes schützen zu müssen – auch wenn er dabei jene Verantwortung ausblendet, die dem Arzt durch das Monopol der Krankschreibung und anderer Atteste übertragen wird. Ein Gesichtspunkt, der auch für das anstehende BGH-Grundsatzurteil von Bedeutung sein sollte. Lediglich der Kriminologe Ralf Kölbel (S.87 ff.) gibt in seiner fundierten Analyse einen hilfreichen Überblick über die system(at)ische Hilflosigkeit gegenüber dem Phänomen der Arrosion primärer Interessen unseres solidarischen Gesundheitswesens durch das für Gesundheit zwangsläufig blinde Wirtschaftssystem. Die Lektüre seines Beitrages ist allen, die sich für mehr Transparenz im Gesundheitswesen stark machen wollen, sehr zu empfehlen.

(Wolfgang Wodarg)

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