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Rezension

Imke Röhl: Das Primat der Mittelmäßigkeit – Politische Korruption in Deutschland Ein Kompendium

Münster: LIT Verlag 2007 ISBN 978-3-8258-0720-7 352 Seiten. 29,90 Euro.

Für eine Dissertation ist der Untertitel „Kompendium“ ungewöhnlich, beschreibt aber zutreffend die theoretische und praktische Breite, mit der sich Imke Röhl dem Thema der politischen Korruption widmet. Dabei wird eine Definition der politischen Korruption verwendet, die an der Kennzeichnung der anvertrauten Macht und damit des Vertrauensbruchs ansetzt. Diesen potenziellen Vertrauensbruch macht sie am Prinzip der Repräsentation fest, also dort, wo Gruppen von Menschen Personen vertrauen. Wesentliche Ursache für politische Korruption wird nach Röhl im Primat der Mittelmäßigkeit der mit Macht betrauten Repräsentanten gesehen: „Die für Korruption prädestinierte Persönlichkeit ist der mittelmäßig politisch strukturierte Mensch, der angepasst genug ist, sich das Gemeinwohl auf seine Fahne zu schreiben, dessen Streben nach persönlicher Bedürfnisbefriedigung aber möglicherweise nicht immer mit den Anforderungen der Gemeinschaft übereinstimmen“ (S. 16). Aus dem politischen Mittelmaß werden folgende Kategorien abgeleitet: „Fraglosigkeit, eingeschränkte Sicht der Welt, Gleichgültigkeit, Ordnungslosigkeit, Maßlosigkeit, Unreife, Bildungsmangel aus Trägheit, Faulheit, Distanzlosigkeit, Machtbedürftigkeit und Unaufrichtigkeit (S. 53)“. Als wesentliches Mittel zur Überwindung dieses Mittelmaßes wird politische Bildung gesehen, die den Menschen ermöglicht, verantwortungsbewusst mit der anvertrauten Macht umzugehen. Im theoretischen Teil bemüht die Autorin Plato, Macchiavelli, Toqueville und Hannah Arendt. Umfangreich beschreibt sie die verschiedenen Konstellationen, in denen politische Korruption möglich wird, beispielsweise den Nepotismus: „Die Nähe der Patronage zur Korruption besteht durch Gemeinsamkeiten, wie Verneinung von Fairness im Wettbewerb und Verneinung von politischer und bürokratischer Ausgewogenheit und der Verneinung des Grundsatzes, sich an der Gemeinschaft nicht zu bereichern.“ (S. 143) Gerade zum Ende des Buches hin wird immer deutlicher, dass die Autorin als wesentliche Maßnahmen Erziehung, politische Bildung und die Haltung des Einzelnen ansieht. Obwohl Strukturen ins Bild genommen werden, wird oft eine individualistische, teilweise fast elitäre Sichtweise gewählt. Das Buch ist nicht immer leicht zu lesen, aber enthält durchaus neue, ungewohnte Perspektiven. Erfrischend ist am Ende die Einführung der Kategorie der Gelassenheit als politischer Tugend, die Diskurse ermöglicht und das Machtstreben Einzelner von sich aus begrenzt.

Christian Humborg

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