Publikationen
Rezension

Johann Graf Lambsdorff: The Institutional Economics of Corruption and Reform. Theory, Evidence and Policy.

Cambridge University Press 2007. ISBN 0-521-87275-8. 286 Seiten, 45 Pfund

Johann Graf Lambsdorff, Professor an der Universität Passau und wissenschaftlicher Betreuer des von Transparency International jährlich veröffentlichten „Corruption Perceptions Index“, geht davon aus, dass Korruption bisher wissenschaftlich wenig erforscht sei. Dem widerspricht zwar, dass seine Literaturliste 25 Seiten lang ist und Veröffentlichungen aus mehreren Jahrzehnten enthält. Er meint offensichtlich seinen eigenen Ansatz, der dem mainstream widerspricht. Lambsdorff will aus moralischen Anklagen heraus. Für wirksamer als Strafen hält er es, die in der korruptiven Beziehung angelegten Unsicherheiten auszunutzen: Zwischen den beiden Seiten herrscht Misstrauen, man kann sich nicht aufeinander verlassen, der Erfolg ist ungewiss, Angestellte des Unternehmens stecken sich selbst etwas in die Tasche und betrügen das eigene Unternehmen, korruptiv zustande gekommene Verträge können legal nicht durchgesetzt werden. Hinzukommen die Nachteile bei aufgedeckter Korruption: Imageverlust, Verlust künftiger Aufträge. Daraus entwickelt Lambsdorff für die Korruptionsbekämpfung das Prinzip des „unsichtbaren Fußes“: Man dürfe die Komplizenschaft der Korruptionspartner nicht durch schwere Strafen verstärken, sondern müsse die Strafen verringern bis hin zur Immunität, das fördere das Whistleblowing. Zugleich müsse man Korruption so schwierig wie möglich machen und die Transaktionskosten erhöhen.

Diese Analyse hat eine gewisse Plausibilität. Sie löst sich allerdings auf, je mehr es in die Details geht. Es beginnt bei der Definition: „Korruption ist der Missbrauch öffentlicher Macht für privaten Nutzen.“ Lambsdorff benutzt ohne Begründung diese selektive Definition, die ausschließlich die Empfängerseite, also Beamte und Politiker hervorhebt, aber die Geberseite, die wirtschaftliche Macht und unternehmerischen Nutzen ausklammert. Die Manager etwa von Siemens, die ohne eigene öffentliche Macht weltweit durch verdeckte Provisionen Aufträge nicht zu ihrem privaten Nutzen, sondern für ihr Unternehmen hereingeholt haben, fallen aus dieser Definition heraus. Den privaten Nutzen sieht Lambsdorff nur bei Staatsdienern und Politikern, die Geld und „Geschenke“ bekommen, ihre Macht und ihren Status verbessern, „Nepotismus“ und „Favoritismus“ praktizieren.

Wenn Lambsdorff von Akteuren in Unternehmen spricht, meint er Angestellte, die „ihre Chefs betrügen“. Unternehmenschefs sind somit per se unschuldig. Auch Korruption zwischen Unternehmen wird nirgends erwähnt. Lambsdorff hat ein Korruptionsbild, das sich mit dem anachronistischen Klischee des korrupten Beamten oder Regierungschefs in Entwicklungsländern deckt. Die heute bestimmenden, modernen Formen der Korruption wie Beraterverträge, Aufsichtsratsposten, Teilhaberschaft an Tarnfirmen und ähnliches bleiben ausgeblendet. Ähnlich spricht er von einsam agierenden Auftrags- und Korruptions-Vermittlern, nicht aber von der institutionellen Logistik in den routinemäßig eingeschalteten Finanzoasen wie der Schweiz und Luxemburg. Auch die Rolle von Wirtschaftsprüfern, von Banken und etwa auch von Weltbank oder Europäischer Kommission wird nicht einmal im Ansatz thematisiert – bei ihnen müsste sich ja vieles ändern, wenn Korruption erschwert werden soll. Lambsdorff zeigt sich als Prophet des marktwirtschaftlichen Gutmenschentums. „Die unsichtbare Hand des Wettbewerbs führt zu guten Märkten.“ Korruption sei Sand im Getriebe der Wirtschaft, Nichtkorruption sei besser für den Profit. Korruption sei ein Anzeichen für das Nicht-Funktionieren des öffentlichen Sektors. Erst Regulierungen schaffen die Gelegenheit für Korruption wie im Falle des UNO-Embargos gegen den Irak, behauptet der Autor. Folgerichtig hält er nur Änderungen im Staat für notwendig, strukturelle Änderungen in den Unternehmen und in den Institutionen der Wirtschaft thematisiert er nicht. Seine „institutionelle Ökonomie“ der Korruption und der Korruptionsbekämpfung verfehlt deshalb ihr anspruchsvolles Ziel.

Werner Rügemer

Replik von Prof. Dr. Johann Graf Lambsdorff:

Was für ein irreführender Kommentar! Herr Rügemers Expertise ist nicht die akademische Forschung zur Korruptionsmessung und -bekämpfung. Er ist auch nicht international ausgewiesen bezüglich der Erforschung des öffentlichen Sektors. Dies hätte ihn motivieren sollen, das Buch intensiver zu lesen.

Seit 1995 erstelle ich den Korruptionsindex für Transparency International, ein Index, der das Verhalten von Bürokraten und Politikern anhand der Einschätzungen von Geschäftspersonen und Länderexperten bestimmt. Mit diesem Index wird nur die halbe Geschichte erzählt, denn der private Sektor teilt sich die Verantwortung für das Ausmaß der globalen Korruption. 1997 startete ich mit der Messung des Fehlverhaltens von Unternehmern und Exporteuren. Ein ganzes Kapitel des Buches beschreibt die Forschungsergebnisse. Herr Rügemer hat dies nicht verstanden.

Genauso widmet sich ein ganzes Kapitel der hochkarätigen, politischen Korruption, in die gerade nicht nur kleine Angestellte verwickelt sind, sondern ökonomische und politische Eliten. Herr Rügemer hat dies nicht verstanden.

Das Buch zeigt auf, dass alte Rezepte wie Privatisierung, Dezentralisierung oder Deregulierung zumeist mehr Schaden anrichten als Nutzen zu stiften. Herr Rügemer hat dies nicht verstanden.

Das Buch ist reichhaltig mit Fallstudien versehen, welche Licht auf die Methoden werfen, mit denen private Akteure korrupte Geschäfte international durchführen und verschleiern. Herr Rügemer hat dies nicht verstanden.

Das Buch behandelt die ökonomischen und sozialen Anreize, die zur Ausgestaltung von korruptionsresistenten Institutionen notwendig sind. Das „Prinzip des unsichtbaren Fußes" ist dabei eine Methode, welche den privaten und den öffentlichen Sektor gleichermaßen betrifft. Dieses Prinzip beschreibt damit eine Strategie, bei der gerade nicht die Institutionen reicher Länder in arme Länder übertragen werden sollen. Herr Rügemer hat dies nicht verstanden.

Herr Rügemer engagiert sich als Journalist und recherchiert über Skandale. Berichte über Skandale können wichtig sein, um Unterstützung für Reformen zu generieren. Aber genauso wichtig ist eine Strategie bei der Auswahl und Gestaltung von erfolgreichen Reformen. Forschungsergebnisse zu solchen Strategien finden sich in diesem Buch. Dies interessiert Studierende und Praktiker mehr als Herrn Rügemer.

Mit besten Grüßen,

Prof. Dr. Johann Graf Lambsdorff
Universität Passau und Transparency International
www.icgg.org

Antwort von Dr. Werner Rügemer auf Prof. Dr. Johann Graf Lambsdorff:

Lambsdorff geht auf meine Kritikpunkte nicht ein. Er flüchtet sich in die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, dass ich alle zentralen Aussagen seines Buches „nicht verstanden“ habe. Ich wiederhole deshalb meine Hauptkritik: Lambsdorff pflegt ein anachronistisches Bild der Korruption, wie es bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts vorherrschend war: „Korruption ist der Missbrauch öffentlicher Macht für privaten Nutzen“. Er richtet sich im Uralt-Klischee der Beamten- und Politikerbeschimpfung ein.

Ich habe dagegen auf die banale Tatsache hingewiesen, dass immer häufiger auch private Macht zu privatem Nutzen missbraucht wird. Moderne Korruptionsakteure und -helfer wie Wirtschaftsprüfer, Wirtschaftskanzleien und Ratingagenturen erwähnt er nicht einmal. Lambsdorff pflegt das anachronistische Bild der Korruption als direkte bare Zahlung und Geschenkvergabe zwischen Bestecher und Bestochenen, verbunden mit direkter Gegenleistung.

Er analysiert nicht, dass sich in den letzten drei Jahrzehnten das Machtgefüge zugunsten der privaten Seite und insbesondere zugunsten der Banken und anderer Finanzakteure und ihrer zahlreichen Beihelfer, zu denen auch Wissenschaftler, Anwälte, Berater, Medien usw. gehören, verschoben hat. Lambsdorffs „Prinzip des unsichtbaren Fußes“ mag trotz einer gewissen Kuriosität auf der abstrakten Ebene eine gewisse Plausibilität haben. Wer aber Finanzoasen nicht stilllegt, wer die Bilanzprüfung und die Besetzung von Aufsichtsräten nicht neu organisiert, wer die Geheimhaltung bei Privatisierungsprozessen nicht aufhebt, wer in die Vergütung für Manager nicht eingreift, wer das Berater-Unwesen nicht beendet, der wird die heute entscheidenden Formen der Korruption nicht bekämpfen können.

Mit seiner rüpeligen Arroganz möchte Lambsdorff mich aus der Wissenschaft verbannen und flüchtet sich in akademischen Dünkel: Ich sei „international nicht ausgewiesen bezüglich der Erforschung des öffentlichen Sektors“. Er möchte mich als Skandal-Journalisten abqualifizieren, dessen Genre er gnädig eine bestenfalls sekundäre Funktion zubilligt. Allerdings mache ich gar keine „Skandalberichte“. Schon die Titel meiner Veröffentlichungen – mehr bräuchte Lambsdorff nicht zu lesen – machen das deutlich.

Meine empirischen Befunde und strukturellen Analysen kommen in Lambsdorffs business-geschütztem Elfenbeinturm nicht vor. Ich stehe mit Studenten, Journalisten, Wissenschaftlern, Anwälten, Managern, Mitgliedern politischer Gremien und auch „einfachen“ Bürgern über Anregungen und Rat in Verbindung. Dabei wurde noch nie gefragt, ob ich den Segen eines Passauer Korruptionsprofessors habe.

Dr. Werner Rügemer
Publizist und Berater, Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers / der Verfasserin wieder.

Dieser Disput ist im Scheinwerfer Nr. 43 (S. 26) vom Mai 2009 erschienden.