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Rezension

Jürgen Roth/Rainer Nübel/Rainer Fromm: Anklage unerwünscht, Korruption und Willkür in der deutschen Justiz

Eichborn, 2007, 304 Seiten, gebunden, 19,95 €.

Das Buch behandelt das Thema Korruption in der deutschen Justiz anhand von ausgewählten Einzelfällen, bei denen es unter anderem um Geldwäsche, Kinderprostitution, ärztliche „Kunstfehler“, „zurückgepfiffene“ Steuerfahnder, „weggemobbte“ Beamte und um untätige Staatsanwaltschaften geht. Auch bekannte Fälle internationaler Korruption wie der Leuna-Fall und im Rahmen des UNO Programms „Oilfor- Food“ zugunsten des Irak werden behandelt. Eine abschließende Aufklärung der vorgestellten Fälle darf der Leser nicht erwarten. Dies können die Autoren nicht leisten. Aber das Buch hat seinen Anteil an der weiteren Aufklärung dieser Korruptionsfälle. Bei manchen Fällen allerdings bleiben beim Leser Zweifel zurück, weil die Schilderungen fast unglaublich klingen. Das Buch leidet an Verallgemeinerungen (zum Beispiel Seite 15f.: „Bürger und Wirtschaft verlieren zunehmend das Vertrauen in eine funktionierende Rechtspflege beziehungsweise halten sie für überflüssig. Viele setzen deshalb auf andere Strategien zur Durchsetzung ihrer Interessen wie Korruption, Nötigung, Erpressung, Selbstjustiz."), Übertreibungen (zum Beispiel Seite 58: „der aus seiner vertrauten Umgebung abgeschobene und ausgeplünderte Kranke…“), platte Ironie (zum Beispiel Seite 142 und 262), einer teilweise unverständlichen Darstellung (zum Beispiel im Kapitel „Das Plauener Spinnennetz“: Namenskürzel werden doppelt

vergeben („X“ Seite 169 und 173) oder eine Person erhält verschiedene Kürzel („Bernd Sch.“ ist „Bernd S.“, Seite 172), Brüche in der historischen Darstellung, zum Beispiel Seite 170) und Unklarheiten (wie Zitate ohne Quellennachweis Seite 179), gerichtliche Zeugen (!) weisen Vorwürfe zurück (Seite 183), Barabhebungen von Schwarzkonten werden wieder eingezahlt (Seite 221 f.)). Ein Gedankenspiel: Angesichts dieser Defizite mag man sich lieber nicht ausmalen, was für Entscheidungen ein Gericht fällen würde, das mit den drei Autoren als Richter besetzt wäre. Trotz dieser Schwächen ist das Buch lesenswert. Dabei sind die Ausführungen insbesondere dann erkenntnisreich, wenn

die Autoren sich von den zum Teil reißerischen und undifferenzierten Beschreibungen der Einzelfälle lösen und die dahinterstehenden Motive der Beteiligten abstrahieren. Positiv ist auch, dass die Autoren ebenso erfahrene wie kritische Juristen zu Wort kommen lassen. Allerdings wünscht sich der Leser mehr von beidem. Die Autoren geben die bekannten und sinnvollen Verbesserungsvorschläge wie eine bessere personelle und sachliche Ausstattung der Justiz, Schaffung einer politisch unabhängigen Staatsanwaltschaft (Beispiel Italien), Stärkung des Remonstrationsrechts

für Beamte, Änderung des Obrigkeitsdenkens in der Justiz, schärfere Trennung von Politik und Justiz, häufigere und ausführlichere Berichterstattung über Korruption in der Justiz und die Einführung eines Ombudsleutewesens in der Justiz. Das Buch ist auch lesenswert für die Handlanger der korrupten Mächtigen in Industrie und Staat: Diesen Gehilfen wird beim Lesen bewußt werden, dass sie, wenn es für ihre Vorgesetzten tatsächlich einmal brenzlig werden sollte, sofort und ohne Rücksicht geopfert werden.

Jürgen Schulze

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