Publikationen
Rezension

K. Lieb, D. Klemperer, W.-D. Ludwig (Hg.): Interessenkonflikte in der Medizin. Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten.

Springer, Berlin 2011, 303 Seiten, 59,95 Euro

Das vorliegende Werk ist überfällig, denn der Begriff „Interessenkonflikt“ taucht noch kaum in der deutschen medizinischen Literatur auf und ist bis heute im Deutschen Ärzteblatt nicht verschlagwortet. Dabei gefährden Interessenkonflikte das ärztliche Urteilsvermögen und Handeln im Kern und beeinflussen medizinische Praxis und medizinische Forschung in vielfältiger Weise.  
Das Buch ist nach wissenschaftlichen Kriterien konzipiert und didaktisch klug und übersichtlich in einen allgemeinen und einen speziellen Teil gegliedert. Während im allgemeinen Teil die Systematik der Interessenkonflikte besonders von den drei Herausgebern sauber seziert wird, kommen im speziellen Teil Autoren aus Praxis, Klinik, Medizinrecht, Arzneimittelindustrie, Medizinjournalismus, Bildung und Forschung zu Wort. Sie zeigen als Insider die medizinischen, psychologischen, rechtlichen, versorgungssystematischen und wirtschaftlichen Dimensionen von Interessenkonflikten und deren unterschiedliche Erscheinungsformen in verschiedenen Sektoren des Gesundheitswesens an Beispielen auf.
Einen breiten Raum nehmen die systematische Beeinflussung der medizinischen Forschung und deren Publikation ein. Zu der Diskussion von Möglichkeiten der Prävention und Regelung von Interessenkonflikten werden auch internationale Beispiele dargestellt.
Primäre Interessen in der Medizin umfassen alles, was dem Wohl der hilfsbedürftigen Patienten dient. Die Autoren zeigen anschaulich die oft versteckten Mechanismen, welche – als sekundäre Interessen – Mediziner davon abhalten, sich ganz und immer hierfür einzusetzen.  
Es ist das große Verdienst der Herausgeber und Autoren, dass sie erstmals im deutschen Schrifttum versuchen, mit einem systematischen Problemaufriss das Thema den Akteuren des Gesundheitswesens fachlich aufzubereiten. Das Buch sollte für alle Verantwortlichen unseres Gesundheitswesens zur Pflichtlektüre gehören.  
Für Politik und Selbstverwaltung bleibt bei Lieb, Klemperer und Ludwig allerdings noch einiges offen, was gut einen zweiten Band füllen könnte: Auch diese Akteure spüren immer deutlicher, dass die sekundären Interessen einer aufstrebenden „Gesundheitswirtschaft“, die sie meist vertreten, die primären Interessen öffentlich getragener Daseinsvorsorge für Gesundheit verdrängen.

(Wolfgang Wodarg)

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