Publikationen
Rezension

Marco Bülow: Wir Abnicker - Über Macht und Ohnmacht der Volksvertreter

Econ-Verlag Berlin 2010, ISBN: 978-3-430-30042-1, 238 Seiten. 18 Euro

Der Autor ist ein noch nicht vierzigjähriger SPD-Abgeordneter, der seit 2002 – jetzt also in der dritten Legislaturperiode
und erstmals in der Opposition – einen Dortmunder Wahlkreis vertritt. Er beschreibt in diesem Buch zunächst seine Frustration, dass es ihm in der Regierungszeit der SPD praktisch nicht gelungen ist, sich als einzelner und nach Artikel 38 unseres Grundgesetzes nur seinem Gewissen verantwortlicher Abgeordneter mit seinen politischen Grundüberzeugungen gegenüber dem Fraktions-Establishment durchzusetzen, weil dieses Koalitions- und damit reine Machtinteressen vertrat und gründliche Sachdiskussionen auf Parteibasis nicht zuließ. Schlimmer noch empfindet er aber die selbst verschuldete Entmachtung des Parlamentes insgesamt, in dem nur noch „Abnicker“ sitzen, die sich damit abgefunden haben, dass allein die Regierungsmacht entscheidet und dass diese weitgehend von Lobbyisten bestimmt und durch Medien verstärkt wird. Dafür gibt Bülow überzeugende Beispiele aus seinem Arbeitsgebiet, der Energie- und Atompolitik.
Das Buch widmet sich ausgiebig den Fragen, die mit dem überhand nehmenden Lobbyismus verbunden sind. Die Ergebnisse entsprechen allen Forderungen, die auch Transparency Deutschland zur Überwindung von „Filz, Klüngel und Intransparenz“ (S.88) in der Politik seit Jahren erhebt – sowohl was ein verpflichtendes transparentes Lobbyistenregister angeht, als auch die nicht akzeptable Beteiligung von in die Ministerien entsandten Wirtschaftsfachleuten an der Erarbeitung von Gesetzen, die Vermeidung des „Drehtüreffektes“ und die dringende Notwendigkeit, die Abgeordnetenbestechung zu regeln und die Nebeneinkünfte der Abgeordneten
aussagekräftiger zu deklarieren.
Bülow meint es ehrlich. Sein Buch ist verständlich und klar geschrieben. Aber ein bisschen „den Mond anbellen“ hört man schon heraus, denn es fehlt die Analyse, warum es der Wirtschaft denn gelungen ist, sich den Staat praktisch anzueignen. Warum nur ist die Politik so schwach? An der Gutwilligkeit von Abgeordneten wie Marco Bülow kann das ja nicht liegen.

(Anke Martiny)

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