Publikationen
Rezension

Patrick von Maravic und Christoph Reichard (Hrsg.): Ethik, Integrität und Korruption – Neue Herausforderungen im sich wandelnden öffentlichen Sektor?

Universitätsverlag Potsdam 2006. ISBN 3-937786-57-0. 199 Seiten, 9,50 Euro

In den letzten 10 bis 15 Jahren habe der Abschied vom Mythos der „unbestechlichen öffentlichen Verwaltung“ in Deutschland begonnen, stellen die Herausgeber im Vorwort ihres Bandes fest. Christoph Reichard, Lehrstuhlinhaber für Public Management der Universität Potsdam und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Patrick von Maravic veranstalteten 2005 eine Fachtagung zum Thema Ethik, Integrität und Korruption in der öffentlichen Verwaltung; im vorliegenden Tagungsband sind einige der Referate in
erweiterter Form nachzulesen.

Manfred Röber, Verwaltungswissenschaftler und Referatsleiter in der Haushaltsabteilung beim Berliner Finanzsenator, setzt sich mit dem Konzept der „Managerialisierung“ der öffentlichen Verwaltung auseinander, das im Zuge von Privatisierungs- und Kommerzialisierungstendenzen entwickelt worden ist. Damit greifen neue Werte wie etwa Effizienz, Flexibilität, Kundenorientierung, Innovation oder Teamwork in der Verwaltung Raum, die bislang ausschließlich für privatwirtschaftliche Unternehmen galten. Es ergibt sich die Frage, wie diese neuen Werte sich zu dem traditionellen Tugendkanon der öffentlichen Verwaltung verhalten, der unter dem Oberbegriff ‚Integrität’ zum Beispiel Prinzipien wie persönliche Untadeligkeit, Objektivität oder, nicht zuletzt, Unbestechlichkeit in sich fasst. Bislang gibt es dazu keine eindeutigen, empirisch belegten Antworten. Röber stellt verschiedene Untersuchungsansätze vor, erläutert grundlegende Schwierigkeiten und kommt zu dem Schluss, dass sich aus einem möglichen Wertekonflikt nicht zwangsläufig eine generelle Gefährdung der ‚alten Werte’ ergebe.

Patrick von Maravic geht in seinem Beitrag der Frage nach, wie sich die beschriebene Transformation der öffentlichen Verwaltung auf das Korruptionsrisiko in deutschen Kommunalverwaltungen auswirkt. Mit dem Outsourcing und der Ausgliederung von Verwaltungsteilen habe eine Verlagerung des Korruptionsrisikos stattgefunden, die der Autor mit dem Begriff „dezentrale Korruption“ charakterisiert. In der Folge struktureller Veränderungen könne nicht mehr von einem einheitlichen Verwaltungsethos ausgegangen werden, und auch die übliche Dichotomie von ‚politischer’ und ‚bürokratischer’ Korruption entspreche nicht mehr der Realität. Als eine Schlussfolgerung weist der Autor auf die Wichtigkeit einer Vorbildfunktion des politischen und administrativen Führungspersonals für eine wirksame Korruptionsbekämpfung hin. Ebenso nachdrücklich fordert er vom Gesetzgeber, den Begriff des ‚Amtsträgers’ einer zeitgemäßen Reform zu unterziehen.

Der Zusammenhang zwischen Verwaltungsreform, New Public Management (NPM) und Ethik wird in den letzten Jahren intensiv untersucht, gleichzeitig ist das Wissen über die Zusammenhänge, das geben alle Experten zu, noch sehr gering. Christoph Demmke (European Institute of Public Administration in Maastricht) weist in seinem Beitrag darauf hin, dass die Entwicklungen im öffentlichen Dienst ein Spiegelbild der Gesellschaft sind. Bürger seien heute viel selbstbewusster, kritischer und verlangten bessere Leistungen und Dienste von der öffentlichen Verwaltung. Parallel zu dieser positiv zu bewertenden Entwicklung schwinde jedoch das Vertrauen der Bürger in die Verwaltung. Demmke wirft interessante Fragen auf, etwa: Begünstigen Verwaltungsreformen, die zu einer Angleichung an die Praxis im privaten Sektor führen, unethisches Verhalten? Einer von ihm selbst erstellten Studie zufolge tendieren 13 Mitgliedstaaten der EU dazu, diese Frage zu bejahen. Demmkes Anliegen ist es vor allem, zwei „Mythen“ über den öffentlichen Dienst zurückweisen: zum einen, dass nur der öffentliche Dienst in geeigneter Weise öffentliche Dienstleistungen erbringen könne, und zum anderen, dass sich öffentliche Dienstleistungen nicht von privaten Dienstleistungen unterscheiden würden. Insgesamt gebe es keinen Grund zum Pessimismus; anders als noch vor 20 Jahren steht heute nicht nur das Disziplinarrecht zur Verfügung, um unethisches Verhalten zu bekämpfen, sondern darüber hinaus auch zahlreiche Vorschriften und Kodizes, Schulungen und Fortbildungen, Einrichtungen zur Förderung und zum Schutz von Whistleblowern usw. So spannend und so offen die Fragen sind, die Demmke stellt, am Ende des Aufsatzes bleibt der Eindruck vorherrschend, als ginge es dem Autor in erster Linie darum, die Beamten vor populistischen Politikern und vorurteilsbeladenen, unwissenden und ungerecht urteilenden Bürgern in Schutz zu nehmen. Indem der Autor anderen so pauschal Voreingenommenheit vorwirft, tut er allerdings nichts anderes als seine eigenen Vorurteile zu pflegen.

Aus Platzgründen ist es nicht möglich, alle Beiträge dieses Bandes zu würdigen. Zumindest namentlich erwähnt seien deshalb noch die weiteren Referenten Thomas Edeling („Die Korrumpierung bedarfswirtschaftlichen Handelns in öffentlichen Unternehmen“), Uwe Bekemann („ex-post Prüfung vs. Ex-ante Beratung. Wandel der Rechnungsprüfungsämter als Reaktion auf neue Korruptionsrisiken?!“) sowie Justus Woydt. Der inzwischen verstorbene stellvertretende Vorsitzende von TI-Deutschland stellte auf der Tagung in Potsdam den „Integrity Pact von Transparency International“ vor.

Der Vorsitzende von Transparency Deutschland, Hansjörg Elshorst, beschließt den Band mit einigen substanziellen Anmerkungen zu dem Themenkomplex aus Sicht der Zivilgesellschaft. Er betont die gemeinsame Verantwortung von Staat und Wirtschaft; Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen müssten daher in beiden Sektoren gleichermaßen installiert werden. Wo es zur Zusammenarbeit von öffentlicher Verwaltung und privaten Unternehmen kommt, sei es unverzichtbar, die gemeinsam getroffenen Entscheidungen transparent und nachvollziehbar zu machen. In diesem Zusammenhang erinnert Elshorst an positive Entwicklungen wie das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, das seit Januar dieses Jahres gilt, aber ebenso an kritische Bereiche wie etwa das Vergaberecht, das infolge der Verwaltungsreform „Not leidend geworden“ sei. Die Forderung nach mehr Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die TI seit Jahren mit Nachdruck erhebt, stellt Elshorst dabei in einen interessanten Zusammenhang mit dem oben erwähnten Konzept der „Managerialisierung“. Die von der Anti-Korruptions-Organisation ausgearbeiteten Verhaltenskodizes beanspruchen auf jeden Fall für öffentliche Stellen wie für privatisierte und private Unternehmen gleichermaßen Verbindlichkeit.

Heike Mayer

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