Publikationen
Rezension

Peter Becker: Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung des Energierechts.

Ponte Press, Bochum 2011, 380 Seiten, 24,80 Euro.

Peter Becker, als Rechtsanwalt seit langem im Energierecht und der Energiewirtschaft tätig, beschreibt die Wege der Atomlobby und entknotet dabei kenntnisreich das Netz der deutschen Stromkonzerne. Erstaunlich ist die in seinem Buch dargestellte Fülle an Quellen. Das reicht von einer Auflistung aller staatlichen Fördermaßnahmen für die Atomkraft über die Beschreibung der politischen Sabotage des Kartellamts bis hin zu einer Sammlung von Indizien für die Manipulation der Preise an der Leipziger Strombörse. Mit der Menge des Materials liefert Becker ein Kompendium, das die vielen komplexen Sachverhalte rund um das Stromgeschäft verständlich macht. Er beschreibt nüchtern und mit juristischem Fachwissen gepaart die Geschichte der Stromkonzerne. Nachdem man knapp dreihundert Seiten gelesen und in den aufschlussreichen Materialien im Anhang gestöbert hat, ergibt sich ein eindeutiges Bild: für Atomstrom kann man eigentlich nur sein, wenn man bereit ist, die nachkommenden Generationen dem Risiko eines Super-GAU auszusetzen und durch Windräder und Solaranlagen „verschandelte“ Landschaften aus optischen Gründen abzulehnen. Alle anderen Argumente widerlegt er mit plausiblen Begründungen. Peter Beckers Buch überzeugt durch historische sowie ökonomische Analysen. Schon allein, wie lange die Abfälle aus der Kernenergie gefährlich bleiben, steht in keinem Verhältnis zu den circa vierzig Jahre lang funktionsfähigen Atomkraftwerken. Becker schildert, wie sich Stromkonzerne etabliert haben, nämlich durch eine enge Allianz zwischen Politik und Wirtschaft seit Beginn der Elektrifizierung (Emil Rathenau war Gründer der AEG, begründete mit Werner von Siemens die ersten Kartelle und war Vater des späteren Reichsaußenministers Walther Rathenau…). Erschreckend ist auch die Zahl der Unfälle, die in den vergangenen 40 Jahren in Atomkraftwerken vorgefallen sind. Es ist bestürzend, wenn man liest, dass es etwa im Kernkraftwerk Greifswald zu einem gefährlichen Brand kommen konnte, weil ein Elektriker seinem Azubi vorführte, wie man elektrische Schaltkreise überbrückt. Das Zwischenlager für Brennelemente am stillgelegten Kraftwerk Gundremmingen würde einem Flugzeugabsturz nicht standhalten - das Betondach ist mit 55 Zentimeter zu dünn. Spannend und nachdenklich macht die Auflistung der Ausgaben, die die großen Stromerzeuger Eon, RWE, Vattenfall und ENBW zur Finanzierung der abgeschalteten Kernkraftwerke, abgesehen von den Finanzhilfen, Steuerbegünstigungen, Forschungsausgaben und Reparaturen, die der Staat mit Steuergeldern bezahlt, ebenfalls an die Verbraucher/Steuerzahler weitergeben. Becker kritisiert sowohl die alte als auch die jetzige Bundesregierung: Denn das Bündnis aus SPD und Grünen musste, als es den Atomausstieg im Jahr 2000 verhandelte, einen sogenannten „Atomkonsens“ eingehen, um die Befindlichkeiten der Stromriesen zu berücksichtigen. Als dann die Bundesregierung aus CDU und FDP in einem intransparenten Verfahren den Vertrag wieder aufkündigte, kam eine paradoxe Situation zustande: Die Stromkonzerne handelten eine Laufzeitverlängerung aus, bestanden aber auf den Vorteilen aus dem Atomkonsens I. So haben sie sich einen doppelten Vorteil verschafft. Auch die Risiken sind durch die Verlängerung gestiegen: Man hat in die Sicherheitsstandards der alten Kernkraftwerke nicht mehr investiert, weil der Ausstieg beschlossene Sache war. Jetzt sind die Laufzeiten mit Verzicht auf Investitionen verlängert worden, was zur Folge hat, dass die Gefahr eines Störfalls in den nächsten Jahren erheblich steigen wird.

(Ulrike Löhr)

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