Publikationen
Rezension

Sven Litzcke, Ruth Linssen, Sina Maffenbeier, Jan Schilling: "Korruption: Risikofaktor Mensch"

Springer VS, Wiesbaden 2012, 162 Seiten, 34,99 Euro

Der Leser mag sich zu Beginn des Buches fragen, warum die Autoren diesen Titel für ihren Studienbericht gewählt haben – möglicherweise weil sie die Ursachen für die Wahrnehmung und die Bewertung von Korruption allein aus der Perspektive individueller menschlicher Eigenschaften untersuchen wollten? Das trifft nicht zu: Die Autoren haben durchaus in ihrer Studie strukturelle Eigenschaften untersucht. Sie stellen diese aber weitestgehend als insignifikant heraus, so dass der Mensch als Risikofaktor übrig bleibt.

Litzcke und seine Kollegen haben situative Einflussfaktoren für die Wahrnehmung und Bewertung von Korruption mit Hilfe von experimentell variierten Vignetten (kurzen Geschichten über Personen, die im sozialen Sektor korrupt handeln) untersucht. Die Personenfaktoren wurden über standardisierte Fragebögen erhoben. Die Stichprobe besteht aus 390 Studierenden an Fachhochschulen in den Fächern Wirtschaft, Verwaltung und Soziale Arbeit.

Bei den Situationsvariablen wurden drei Merkmale variiert: die Form der Korruption (situative versus strukturelle Korruption), die Höhe des Vorteils aus der Korruption (klein oder groß) und die Adressaten des Vorteils aus der Korruption (zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil von anderen). Diese Einflussgrößen spielen bei der Einschätzung über Korruption bei den Studierenden nach den empirischen Ergebnissen keine Rolle, wohl aber die Veränderung der drei Personenfaktoren: der organisationale Zynismus (die negative Einstellung eines Arbeitnehmers gegenüber seiner Organisation), der Grad an Psychopathie (negative soziale Eigenschaften wie etwa Kaltherzigkeit, machiavellistischer Egoismus oder sorglose Planlosigkeit) und die Intelligenz. Die Autoren untersuchen allerdings nicht nur, wie eine bestimmte Korruptionssituation bewertet wird beziehungsweise ob eine Korruption aus Sicht der Befragten vertretbar scheint oder nicht. Sie untersuchen auch, ob die Befragten korruptes Verhalten als entschuldbar einstufen und ob es zu dulden wäre beziehungsweise meldepflichtig ist. Neutralisierungstechniken (Strategien, die Rechtfertigungen für Handlungen liefern, welche akzeptierten Normen und Gesetzen widersprechen) spielen bei der Ausübung korrupter Taten offensichtlich eine große Rolle und hängen vermutlich mit der Intelligenz zusammen. Ebenso wichtig sind Erkenntnisse über das Meldeverhalten bei erkannter Korruption, vor allem wenn es um präventive Maßnahmen geht. Für beide Bereiche liefern die Autoren interessante Ergebnisse, auch wenn die situativen Faktoren trotz ihrer experimentellen Operationalisierung wenig erklärungskräftig bleiben.

Als theoretisch interessierter Korruptionsforscher wird man in diesem Buch wenig fündig. Empirisch interessierte Korruptionsforscher kann dieses knapp und präzise geschriebene Buch zu eigenen Untersuchungen motivieren.

(Peter Graeff)

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers / der Verfasserin wieder.