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Rezension

Viktor Parma, Werner Vontobel: Schurkenstaat Schweiz?

C. Bertelsmann Verlag 2009 ISBN 978-3-570-01083-9. 224 Seiten. 19,95 Euro

Was im Titel des Buches noch fein mit einem Fragezeichen versehen wurde,  ob denn die Schweiz ein Schurkenstaat sei oder nicht,  wird am Ende des Buches zur Gewissheit. Ja, die Schweiz ist ein Schurkenstaat, wenn man als schurkiges Verhalten den rücksichts­losen Eigennutz beschreibt, der Geld und Vermögen aus anderen Ländern mit den Mitteln der Steuer­vermeidung heraussaugt. So hat der Schweizer Nationalökonom Professor Manfred Gärtner errechnet, dass durch die Kombination von Bankgeheimnis und Steuerwettbewerb die Schweizer um 50% weniger Einkommensteuern bezahlen als ansonsten nötig wäre, die Vermögen der Schweizer Rentner dadurch um 17% höher sind und die Schweizer in ihrem Leben 34% mehr konsumieren können. Viktor Parma und Werner Vontobel, zwei Schweizer Wirtschaftsjournalisten, legen die Entstehung der „Schweizer Kernkompetenz“ offen, mit den Mitteln des Bankgeheimnisses und steuerlicher Privilegien geizige Reiche aus aller Welt vor den Steuergesetzen in ihren Herkunftsländern zu schützen.
In der Beschreibung der geschichtlichen Entwicklung des Schweizer Finanzplatzes wird die fatale Rolle der Schweiz von der Destabilisierung der Weimarer Republik bis hin zur tätigen Mithilfe bei der Finanzkrise dieser Tage offen gelegt.

Ihren starken Steuervermeidungsarm reichen Schweizer Kantone – sie verfügen über die Steuerhoheit – gerne multinationalen Konzernen. Hierbei werden ausländische Holdings besser gestellt als einheimische. Besteuert wird nur das Eigenkapital mit einem sehr niedrigen Satz, die Gewinne bleiben unversteuert. So werden zum Beispiel Rohstoffe von den Töchtern eines Konzerns in einem Rohstoffland unter Wert an eine andere Konzerntochter in der Schweiz verkauft. Diese verkauft sie teuer und damit mit hohen Gewinnen weiter, die in der Schweiz unbesteuert bleiben. 13000 Holdings haben in der Schweiz ihren Sitz gewählt, davon 6000 allein im Kanton Zug. Die von den Konzernen auf diese Weise gesparten Steuern fehlen besonders den Entwicklungsländern. Es konnte ein klarer Zusammenhang in Entwicklungsländern festgestellt werden: bei sinkenden Staatseinnahmen steigt die Kindersterblichkeit. Die EU verhandelt seit 2007 mit der Schweiz, um eine Gleichbehandlung in- und ausländischer Holdings zu erreichen. Bis jetzt ohne Erfolg, denn die Schweizer Behörden verhandeln nicht alleine, internationale Finanz-und Industriekonzerne unterstützen sie.

Der zweite Arm, der vor Besteuerung schützt, ist das Bankgeheimnis. Zwar werden für Privatpersonen 20% Quellensteuer auf Zinsgewinne anonym erhoben und an die Finanzbehörden der Heimatländer abgeführt, sofern die Kapitaleigner ihren Sitz in einem EU-Land haben, ausgenommen aber sind die Gewinne juristischer Personen und Wertsteigerungen des eingesetzten Kapitals. Fein wird auch zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung unterschieden. Rechtshilfe gewährt die Schweiz nur bei Steuerbetrug, aber sie verwehrt die Auskünfte,  mit deren Hilfe man Steuerbetrug beweisen könnte. Steuerhinterziehung ist in der Schweiz kein Straftatbestand. Seit Jahrzehnten versuchen deutsche Finanzminister diese Steuerfluchtburg zu knacken - vergeblich. 175 Mrd. Euro sollen deutsche Steuerflüchtlinge über die Jahre in die Schweiz geschafft haben. Als Bundesfinanzminister Steinbrück der Geduldsfaden riss und ankündigte nicht nur zu Zuckerbrot zu greifen sondern auch zur Peitsche, wurde der deutsche Botschafter in der Schweiz ins Aussenministerium einbestellt und musste sich die Empörung über derartige Entgleisungen anhören. Über den Kern der Sache wurde kein Wort verloren.
Es gilt eben, die Nährböden der Schweizer Finanz- und Vermögensverwaltungs­industrie zu sichern, denn die Reichen haben für  28% der weltweit offshore angelegt privaten Vermögen die Schweiz als Fluchtburg gewählt. Die beiden Schweizer Autoren gewähren Einblick in die wohlgehütete Kammer unserer geschäftstüchtigen Nachbarn mit ihren schurkischen Werkzeugen.

Jochen Bäumel

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